Was bedeutet Technologieoffenheit in der Energiewende?
Der Begriff „Technologieoffenheit“ wird insbesondere von Parteien wie CDU/CSU, FDP und BSW im Kontext der Energie-, Wärme- und Mobilitätswende verwendet. Gemeint ist damit ein Ansatz, der verschiedene technologische Lösungswege zur Erreichung der Klimaziele zulässt, ohne sich frühzeitig auf bestimmte Technologien festzulegen.
Aktuell liegt der Fokus bei der Energiewende hauptsächlich auf Wind- und Solarenergie, bei der Wärmewende auf Wärmepumpen und bei der Mobilitätswende auf batterieelektrischen Fahrzeugen. Doch welche alternativen Technologien existieren, und wie realistisch ist ihr flächendeckender Einsatz?
Alternativen in der Energieerzeugung
Bei der Energieerzeugung stehen neben Wind- und Solarenergie verschiedene alternative Technologien zur Diskussion. Während Biomasse und Wasserkraft in ihren Kapazitäten begrenzt sind, werden hauptsächlich Atomkraft sowie die Verfahren CCS (Carbon Capture and Storage) und CCU (Carbon Capture and Utilization) als ergänzende Optionen diskutiert.
Atomkraft als Alternative?
Die Debatte um Atomkraft dreht sich aktuell hauptsächlich um die Reaktivierung stillgelegter Reaktoren. Diese sind jedoch seit 2011 auf Abschaltung ausgerichtet und wurden 2023 endgültig vom Netz genommen. Eine Reaktivierung würde erhebliche Modernisierungsmaßnahmen erfordern, da die Reaktoren 40-50 Jahre alt sind und ihre Restlaufzeit begrenzt wäre.
Selbst wenn die Reaktivierung erfolgen würde, könnten diese Anlagen nur etwa 5-6% des zukünftigen Gesamtenergiebedarfs decken. Laut Fraunhofer ISE fehlen in der „Dunkelflaute“ (Perioden mit wenig Wind und Sonne) bis zu 40 GW Leistung. Um diese Lücke mit Atomkraft zu schließen, müssten etwa 30 neue Reaktoren gebaut werden – nur für den aktuellen Strombedarf. Berücksichtigt man den steigenden Bedarf durch Elektromobilität und Wärmepumpen, wären sogar 60 neue Reaktoren notwendig.
Die Kosten und Bauzeit moderner Kernkraftwerke sind beträchtlich:
- Flamanville (Frankreich): Ein 1,6-GW-Reaktor mit 17 Jahren Bauzeit und Kosten von 13,2 Mrd. Euro
- Hinkley Point C (Großbritannien): Geschätzte Bauzeit von 18 Jahren und Kosten von 40 Mrd. Euro
Bei 40 GW zusätzlicher Leistung durch Atomkraft entstünden Kosten von etwa 400 Mrd. Euro. Mit den zusätzlichen Bedarfen für Wärme und Mobilität könnte dies auf 800 Mrd. Euro steigen, zuzüglich 650 Mrd. Euro für den notwendigen Netzausbau.
Das Fraunhofer ISE hat die wirtschaftliche Seite verschiedener Energieträger untersucht. Die Ergebnisse zeigen, dass Photovoltaik-Freiflächenanlagen die günstigste Energie produzieren, gefolgt von Windenergie (sowohl onshore als auch offshore). Atomstrom hingegen weist eine große Kostenspanne zwischen 17 und 40 Cent/kWh auf, was ihn wirtschaftlich unattraktiv macht.
CCS und CCU – An der Wirkung statt an der Ursache arbeiten
CCS (Carbon Capture and Storage) ist ein Verfahren zur Abscheidung von CO₂ aus industriellen Prozessen oder der Verbrennung fossiler Brennstoffe und dessen anschließende dauerhafte Speicherung.
Der Prozess umfasst:
- Abtrennung von CO₂ aus Abgasen von Kraftwerken oder Industrieanlagen
- Komprimierung und Transport des CO₂ per Pipeline oder Schiff
- Injektion in unterirdische geologische Formationen wie erschöpfte Öl- oder Gasfelder oder tiefe Salzwasseraquifere
Die Sicherheit dieser CO₂-Depots wird jedoch kritisch hinterfragt, da die geologischen Formationen durch vorherige Bohrungen möglicherweise nicht mehr vollständig dicht sind. Ein flächendeckender Einsatz dieser Technologie ist vor 2040 nicht zu erwarten.
CCU (Carbon Capture and Utilization) funktioniert ähnlich wie CCS, nutzt das abgeschiedene CO₂ jedoch als Rohstoff für verschiedene Produkte oder Prozesse. Einsatzgebiete sind:
- Herstellung von Chemikalien und Kunststoffen
- Produktion von synthetischen Kraftstoffen
- Verwendung in der Lebensmittel- und Getränkeindustrie
- Nutzung in Gewächshäusern zur Pflanzenanzucht
- Einsatz in der Bauindustrie als CO₂-härtender Beton
Das Problem bei CCU ist, dass es letztlich nur einen zweiten Kreislauf schafft – am Ende gelangt das CO₂ trotzdem in die Atmosphäre und trägt zum Klimawandel bei. Zudem verlängern beide Verfahren die Nutzung fossiler Brennstoffe, die jedoch endlich sind.
Alternativen in der Mobilitätswende
Bei der Mobilitätswende werden als Alternativen zu batterieelektrischen Fahrzeugen hauptsächlich E-Fuels und Wasserstoff diskutiert.
E-Fuels und Wasserstoff in der Mobilität
E-Fuels sollen als Alternative zum batterieelektrischen Auto dienen und die Weiternutzung von Verbrennungsmotoren auch nach 2035 ermöglichen. Der Herstellungsprozess von E-Fuels umfasst:
- Abscheidung von CO₂ aus der Atmosphäre oder aus Industrieanlagen
- Elektrolyse von Wasser zu Wasserstoff und Sauerstoff unter Nutzung erneuerbarer Energien
- Synthese von CO₂ und Wasserstoff zu längeren Kohlenwasserstoffketten durch das Fischer-Tropsch-Verfahren
- Raffinierung zu Diesel, Benzin oder Kerosin
Wasserstoff selbst kann in der Mobilität auf drei Arten eingesetzt werden:
- Als Bestandteil von E-Fuels
- In Brennstoffzellenfahrzeugen
- Direkt als Kraftstoff in modifizierten Verbrennungsmotoren
Bei der Effizienz zeigen sich deutliche Unterschiede zwischen den Technologien. Ein 3-MW-Windrad kann:
- 1.600 batterieelektrische Fahrzeuge mit Strom versorgen
- 600 Wasserstofffahrzeuge antreiben
- nur 250 Fahrzeuge mit E-Fuels versorgen
Die niedrige Effizienz von Wasserstoff in Brennstoffzellen resultiert aus dem sogenannten „Strom-zu-Strom“-Verfahren: Aus grünem Strom wird Wasserstoff hergestellt (Wirkungsgrad bis zu 85%), der dann in der Brennstoffzelle wieder zu Strom umgewandelt wird (Wirkungsgrad etwa 70%). Der Gesamtwirkungsgrad liegt bei etwa 35% – ähnlich wie bei der direkten Verbrennung von Wasserstoff in modifizierten Motoren.
Globale Wasserstoffwirtschaft
Die globale Wasserstoffproduktion verteilt sich derzeit wie folgt:
- China: Größter Hersteller, hauptsächlich aus fossilen Brennstoffen
- USA: Zweitgrößter Produzent, Fokus auf blauem und grünem Wasserstoff
- Deutschland: Führend in Europa, Aufbau einer Wasserstoffwirtschaft mit Schwerpunkt auf grünem Wasserstoff
- Japan: Führend bei der Verwendung von Wasserstoff, Hauptimporteur
- Australien: Großes Potenzial für grünen Wasserstoff, Exportpläne für Europa und Asien
- Saudi-Arabien: Projekt „Neom“, eine futuristische Stadt als Zentrum für grünen Wasserstoff mit einer geplanten Produktionskapazität von 650 Tonnen täglich
Diese internationalen Entwicklungen zeigen, dass Wasserstoff zwar eine wichtige Rolle spielen wird, aber aufgrund der geringeren Effizienz vermutlich vorwiegend in Bereichen, wo batterieelektrische Lösungen nicht praktikabel sind.
Wirkungsgrade verschiedener Antriebstechnologien
Antriebstechnologie | Wirkungsgrad | Anzahl Fahrzeuge pro 3MW-Windrad | Hauptvorteile | Hauptnachteile |
---|---|---|---|---|
Batterieelektrisch | ~70-80% | 1.600 | Hohe Effizienz, etablierte Technologie | Rohstoffbedarf für Batterien |
Wasserstoff (Brennstoffzelle) | ~35% | 600 | Schnelles Tanken, höhere Reichweite | Ineffizienz, komplexe Infrastruktur |
E-Fuels | ~15-20% | 250 | Nutzung bestehender Infrastruktur | Sehr geringe Effizienz, hohe Kosten |
Alternativen in der Wärmewende
Bei der Wärmewende werden neben Wärmepumpen verschiedene Alternativen diskutiert, darunter H2-ready Heizungen, Biomasse, Infrarotheizungen und Fernwärme.
H2-ready Heizungen und Wasserstoff
H2-ready Heizungen sollen als Alternative zur Wärmepumpe dienen. Der Produktionsweg ist jedoch energetisch ineffizient:
- Produktion von Wasserstoff aus erneuerbarem Strom (Wirkungsgrad ~85%)
- Transport durch ertüchtigte Gasleitungen
- Verbrennung in der Gastherme (Wirkungsgrad ~90%)
Daraus resultiert: Aus 1 kWh Strom werden nur etwa 0,7 kWh Wärme.
Im Vergleich dazu erzeugt eine Wärmepumpe aus 1 kWh Strom etwa 4 kWh Wärme. Die enorme Effizienzdifferenz macht H2-ready Heizungen aus energetischer Sicht fragwürdig. Hinzu kommen die Kosten für die Ertüchtigung und den Erhalt des Gasnetzes, die auf immer weniger Verbraucher umgelegt werden müssten.
Auch die Nutzung von Biogas, das laut GEG (Gebäudeenergiegesetz) ab 2029 beigemischt werden muss, ist problematisch. Biogas ist eine knappe Ressource, was zu steigenden Gaspreisen führen wird. Verbraucherzentralen warnen bereits davor, weiterhin auf Gas zu setzen.
Biomasse und Holzheizungen
Biomasse- und Holzheizungen wurden im ursprünglichen GEG für Neubauten ausgeschlossen, was aus Ressourcensicht sinnvoll erscheint. Mit der aktuellen Pelletproduktion in Deutschland könnten etwa 500.000 Haushalte beheizt werden. Der CO₂-Ausstoß liegt bei etwa 30 g pro kWh, was niedriger ist als der aktuelle Wert für Wärmepumpen im deutschen Strommix, aber höher als der zu erwartende CO₂-Ausstoß von Wärmepumpen in einem zunehmend erneuerbaren Stromsystem.
Die begrenzte Verfügbarkeit von Biomasse spricht dafür, diese Ressource vorrangig dort einzusetzen, wo Wärmepumpen weniger effizient sind, beispielsweise in unsanierten Altbauten. Die „Technologieoffenheit“ ermöglicht jedoch nun auch den Einbau von Biomasseheizungen in Neubauten, obwohl dort Wärmepumpen die effizientere Lösung darstellen würden.
Infrarotheizungen und weitere Alternativen
Infrarotheizungen können in bestimmten Neubauten eine Option sein, insbesondere wenn noch kein wassergeführtes Heizsystem installiert ist. Allerdings sind Split-Klimaanlagen in der Regel stromsparender als Infrarotheizungen.
Synthetisches Öl für Ölheizungen ist ähnlich wie E-Fuels mit einem enormen Energieaufwand in der Herstellung verbunden und bei der Verbrennung ineffizient. Die Erzeugungskosten wären deutlich höher als bei fossilem Heizöl.
Fernwärme als zentralisierte Lösung
Fernwärme, die gemäß der kommunalen Wärmeplanung ausgebaut werden soll, ist derzeit oft ein Abfallprodukt anderer Energieproduktion. Sie muss jedoch ebenfalls CO₂-ärmer werden, was im GEG vorgesehen ist. Der Vorteil: Es ist einfacher, zentrale Fernwärmenetze zu dekarbonisieren als einzelne Heizungen.
Das Problem bei Fernwärme ist die Monopolsituation: Wer an ein Fernwärmenetz angeschlossen ist, kann den Anbieter nicht wechseln. Daher sind Preisobergrenzen notwendig, um zu verhindern, dass die Kilowattstunde Wärme unverhältnismäßig teuer wird.
Vergleich verschiedener Heiztechnologien
Heiztechnologie | Wirkungsgrad | CO₂-Ausstoß (g/kWh) | Kosten pro kWh | Anmerkungen |
---|---|---|---|---|
Wärmepumpe | 300-500% | 120 (aktueller Strommix), zukünftig niedriger | 7-9 Cent | Hohe Effizienz, zunehmend klimafreundlich |
H2-ready Gasheizung | ~70% | 200 (Gas), unklar für H₂ | 12-13 Cent, Tendenz steigend | Ineffizient, teures Netz, begrenzte H₂-Ressourcen |
Pelletheizung | ~90% | 30 | 8-10 Cent | Ressourcenbegrenzung, nur 500.000 Haushalte möglich |
Infrarotheizung | 100% | Wie Strommix | 22-30 Cent | Nur sinnvoll in Passivhäusern oder als Zusatzheizung |
Fernwärme | 90-95% | Variiert je nach Quelle | Monopolpreis, sollte reguliert werden | Sinnvoll in dicht besiedelten Gebieten |
Fazit: Sind alternative Technologien massentauglich?
Die Betrachtung der verschiedenen Technologiealternativen in den Bereichen Energie, Mobilität und Wärme zeigt:
- Energieerzeugung: Wind- und Sonnenenergie sind die günstigsten und effizientesten Technologien. Atomkraft ist nicht wirtschaftlich und der Neubau würde zu spät kommen, um rechtzeitig zur Klimaneutralität beizutragen. CCS und CCU können in bestimmten Industriezweigen sinnvoll sein, lösen aber nicht das Grundproblem der Endlichkeit fossiler Ressourcen.
- Mobilität: Batterieelektrische Fahrzeuge sind deutlich effizienter als Wasserstoff- oder E-Fuel-Alternativen. Letztere könnten in Nischenbereichen wie der Luftfahrt oder Schifffahrt zum Einsatz kommen, wo Batterien unpraktikabel sind.
- Wärme: Wärmepumpen haben einen klaren Effizienzvorteil gegenüber Wasserstoffheizungen oder synthetischen Brennstoffen. Biomasseheizungen sind in ihrer Skalierbarkeit begrenzt und sollten gezielt eingesetzt werden. Fernwärme bietet in urbanen Gebieten Potenzial, benötigt aber Preisregulierung.
Die unter „Technologieoffenheit“ diskutierten Alternativen erweisen sich bei genauerer Betrachtung oft als weniger effizient, teurer und in der Skalierung begrenzt. Sie werden voraussichtlich eher in Nischenbereichen zum Einsatz kommen, während die bereits dominierenden Technologien – Wind- und Solarenergie, Wärmepumpen und elektrische Fahrzeuge – aufgrund ihrer Effizienz, Wirtschaftlichkeit und Skalierbarkeit den Hauptanteil der Energie-, Wärme- und Mobilitätswende tragen werden.
Wichtige Aspekte bei der Auswahl von Technologien für die Energie-, Wärme- und Mobilitätswende:
- Energieeffizienz und Wirkungsgrad
- Skalierbarkeit und Ressourcenverfügbarkeit
- Wirtschaftlichkeit und Kostenentwicklung
- Realisierbarkeit bis zum Zieldatum 2045
- Infrastrukturanforderungen und Systemintegration
- Gesamte Umweltauswirkungen (nicht nur CO₂)
Für das Erreichen der Klimaneutralität bis 2045 ist ein pragmatischer Ansatz erforderlich, der die effizientesten und wirtschaftlichsten Technologien priorisiert, während alternative Technologien dort zum Einsatz kommen, wo sie tatsächlich Vorteile bieten.
Letztes Update des Artikels: 14. April 2025